Rezension

Paul Lynch – Das Lied des Propheten

In Paul Lynchs dystopischem Roman „Das Lied des Propheten“ wird Irland von einem tyrannischen Regime beherrscht, das die Gesellschaft mit Gewalt und Überwachung unterdrückt. Gewerkschaften werden unterdrückt, Menschen verschwinden spurlos, die Reisefreiheit wird eingeschränkt, Jugendliche werden willkürlich zum Militär einberufen. All das geschieht mit Notfall-Verordnungen unter immer neuen Vorwänden in einem rasanten Tempo und in einer Konsequenz, das die Menschen nicht für möglich halten, schließlich ist Irland ein Land der EU. Mit seinem zunächst eigenwilligen Erzählstil (an den man sich aber schnell gewöhnt) schafft es Paul Lynch, die rasanten Veränderungen eines totalitären Staats einzufangen. Unterhaltungen, Gedanken, Beschreibungen vermischen sich zu einer Erzählung, die die Hilflosigkeit der handelnden Personen gegenüber einem totalitären Regime gekonnt einfängt.

Im Mittelpunkt steht die Wissenschaftlerin Eilish, deren Leben nach der Machtübernahme der nationalistischen Partei National Alliance völlig aus der Bahn gerät. Ihr Mann, Larry, wird von der Geheimpolizei verhaftet und verschwindet, und Eilish muss sich allein mit ihren vier Kindern und ihrem dementen Vater durchschlagen.

Die Geschichte entfaltet sich in einer Atmosphäre der Angst und Panik, während Eilish immer mehr unter politischer Verfolgung leidet. Sie verliert ihren Job, wird schikaniert und erlebt, wie sich die Gesellschaft in ein gewaltsames, gespaltenes Terrain verwandelt. Ihr ältester Sohn schließt sich einer Rebellenarmee an, und die Städte werden zu Schlachtfeldern. Eilish gerät in Lebensgefahr, als sie nach einem verletzten Sohn in einem Krankenhaus sucht.

Lynch beschreibt die dramatische Eskalation der Ereignisse in packenden Bildern, die das Überleben der Protagonistin und die zunehmende Brutalität des Regimes widerspiegeln. Der Roman wirft einen Blick auf die Entstehung eines totalitären Staates und zieht Parallelen zu Krisenregionen wie dem Nahen Osten, in denen Menschen durch Krieg und Diktaturen zur Flucht gezwungen werden. Die zentrale Botschaft des Romans lautet, dass Unheil und Unterdrückung überall auftreten können – selbst in einem demokratischen Staat in Europa.

Insgesamt wirklich kein erbauliches Buch, aber ungemein spannend und sehr lesenswert. Es hält eigentlich jeder Gesellschaft den Spiegel vor und zeigt eindrücklich die Folgen, wenn radikale Kräfte an die Macht kommen und in aller Gründlichkeit die Grundrechte außer Kraft setzen. Wenn man sich auf Paul Lynchs Stil einlässt, kann man das Buch bis zum Ende eigentlich nicht aus der Hand legen.

BL

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