An der Fassade der Stadtbibliothek Osnabrück hängt ein schwarzes Banner mit weißer Aufschrift. Der Text fragt: Würde Remarque heute mit uns feiern?
Osnabrück Veranstaltung

Tag der Niedersachsen 2025 – Oder: Würde Remarque mit uns feiern?

Der „Tag der Niedersachsen 2025“ ist vorbei. Insgesamt ein positives Ereignis für die Stadt, etwa 500.000 Menschen feierten das Landesfest am vergangenen Wochenende. Es konnten sich zahlreiche lokale Initiativen und Vereine präsentieren und nicht nur auf der Sportmeile im Schlosspark konnten Osnabrücker:innen und auch die zahlreichen Gäste von Außerhalb aktiv werden. Auch kulturell hatte der „Tag der Niedersachsen“ einiges zu bieten mit dem „Umzug der Vielfalt“ oder musikalischen Beiträgen auf den zahlreichen Bühnen. Als Highlight seien hier die Donots genannt, die kurzfristig für die eigentlich eingeplanten Mando Diao eingesprungen sind – eine gelungene Wahl!1 Organisatorisch ist das größtenteils sehr gut abgelaufen, wenn man von einigen Details absieht: Unklarheiten über Sperrungen für Pkw und Grundstückseinfahrten im Innenstadtbereich, oder die eher kurzfristige Verschönerung der Fassade des Erdgeschosses des früheren Galeria-Gebäudes (die übrigens wirklich toll geworden ist!).2 Die Stadt hat sich für diesen Anlass herausgeputzt und sich gastfreundlich präsentiert, auch wenn die ein oder andere Dauerbaustelle unübersehbar war und der verkaufsoffene Sonntag dann vielleicht doch eher zu viel des Guten war.3

Und was hat das mit Remarque zu tun?

Das Buch "Im Westen nichts Neues". Im Hintergrund ist ein Panzer der Bundeswehr zu sehen.

An der Fassade der Stadtbibliothek, neben dem Remarque Friedenszentrum, war ein großes, auffällig schmuckloses Banner befestigt. Weiß auf schwarz wurde die Frage gestellt: „Würde Remarque heute mit uns feiern?“. Grundsätzlich ist das schwer zu beantworten. Daher hat unsere Oberbürgermeisterin Pötter kurzerhand den Leiter des Rermarque Friedenszentrums dazu interviewt (der muss es ja wissen, oder?). Seine Antwort: Na klar hätte Remarque mit uns gefeiert! Remarque hat schließlich keinen Anlass zu feiern ausgelassen.4

Diese Antwort in diesem kurzen Marketing-Video ist in vielerlei Hinsicht schwierig. Remarque gilt auch als militanter Pazifist. Wie passt da ein Schützenpanzer auf der „Blaulicht-Meile“ ins Bild? Falls Remarque mitgefeiert hätte, wäre vorher zumindest ein erregtes Gespräch mit den Uniformierten am besagten Gefährt geführt worden, oder er wäre der Veranstaltung gar ganz ferngeblieben (dazu ganz am Ende mehr). Zunächst war die „Blaulicht-Meile“ wohl auf dem Dom-Vorplatz geplant. Dazu sei folgende Frage erlaubt: Wer kommt eigentlich auf die Idee, einer Kirche einen Panzer vor die Tür zu stellen? Es ist dann doch anders gekommen und der Panzer stand sehr präsent am Neuen Graben, so dass Gäste von der Bushaltestelle am Neumarkt kommend (der für sich schon eine städteplanerische Bankrotterklärung ist)5, ihn gar nicht übersehen konnten.

Möglicherweise hätte Remarque auch mit den Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei diskutiert, oder mit den Vetreter:innen der Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, oder mit denen der Justiz, oder oder oder… Sie alle hatten Stände auf dem „Tag der Niedersachsen“.

Insgesamt war Remarques Verhältnis zu seiner Heimatstadt eher „zwiespältig“.6 Auch Tilman Westphalen, inzwischen leider verstorbener Remarque-Experte (diese verkürzte Beschreibung wird der Persönlichkeit Tilman Westphalens bei Weitem nicht gerecht), bemerkte:

„Empathie schließt nicht ein, sich töten zu lassen“, brachte er Remarques Ansicht auf den Punkt, dass zu einem individuellen zivilen Leben auch gerechtfertigte Notwehr gehört. Nichtsdestotrotz sprach er sich mit Remarque dafür aus, Kriegsvorbereitungen wie Waffenproduktion und Wehrdienst kollektiv zu verweigern und „gegen die Kultur des Tötens und des heroischen Sterbens“ weder Kriegstote noch „tötende Krieger“ etwa durch Denkmale zu verherrlichen.7

Als Randnotiz sei bemerkt: Es wird aktuell laut darüber nachgedacht, die Arbeitsplätze des Osnabrücker VW-Werks mittels einer Übernahme durch das Rüstungsunternehmen Rheinmetall zu erhalten8 – unweit des Ortsschilds mit dem Zusatz „Die Friedensstadt“.9

Nicht nur das Thema Militarismus findet sich in Remarques Werken. Seine Emigrantenromane zeigen Bürokratie und Nationalstaatsgrenzen als entmenschlichende Apparate – nahe an internationalistischen, antinationalen Anliegen: „Der Mensch war um diese Zeit nichts mehr; ein gültiger Pass alles.“ (Aus „Die Nacht von Lissabon“.). Remarque übt in seinen Werken häufig auch Gesellschaftskritik, die materielle Bedingungen (Arbeit, Geld, Versorgung) in den Mittelpunkt rückt. In „Der schwarze Obelisk“ verarbeitet er einerseits persönliche Erinnerungen, zugleich tritt Osnabrück (verfremdet als „Werdenbrück“) aber als Untersuchungsfeld für soziale Verkommenheit und die Keime des Nationalsozialismus in Kleinbürgerkreisen auf — also Nähe und scharfe Kritik zugleich. In den 1920er Jahren ist auch deshalb das Werk nicht positiv rezipiert worden, wie der frühere Leiter des Remarque Zentrums Thomas Schneider in der heutigen Ausgabe von „Der schwarze Obelisk“ im Nachwort schreibt.

Der 1970 verstorbene Erich Maria Remarque war 1954 anlässlich der Beerdigung seines Vaters letztmals in Osnabrück. Ein eher folkloristisches Fest im bürgerlichen Osnabrück mit allem Drum und Dran einschließlich Panzer wäre also vermutlich nicht die Veranstaltung gewesen, die Remarque bewogen hätte, zum Feiern in seine Heimatstadt zurückzukehren.

In diesem Kontext die Frage zu stellen, ob Remarque mit uns feiern würde, ist so deplatziert wie eine Frage nur sein kann. Dass das City Marketing (als Urheber des betreffenden Videos und möglicherweise auch des besagten Banners) oder Frau Oberbürgermeistern das nicht unbedingt wissen ist zwar schade, der Leiter des Remarque Zentrums sollte es aber besser wissen. Nicht jede historische Persönlichkeit eignet sich gleichermaßen dazu, marketingtechnisch für bestimmte Anlässe genutzt zu werden.

Ohne Bezug zum obigen Text zum Abschluss noch ein Stillleben: „Deko-Kuh auf trockener Wiese vor Katastrophenschutz-Fahrzeug“

lebensgroße Deko-Kuh auf vertrockneter Wiese.

  1. Der Autor dieser Zeilen ist hinsichtlich des Musikgeschmacks vorbelastet und daher nicht neutral. ↩︎
  2. https://www.youtube.com/watch?v=Z04XadIPbs0 ↩︎
  3. In einem separaten Artikel ist die Auseinandersetzung mit verkaufsoffenen Sonntagen geplant, aber alles zu seiner Zeit. ↩︎
  4. https://www.instagram.com/reel/DN7nFcsDAN2/?utm_source=ig_web_copy_link&igsh=MXdpMDAyMHJsamVxYQ== ↩︎
  5. Für Auswärtige: In Osnabrück ist es Tradition, auf den Neumarkt zu schimpfen. Gründe dafür finden sich laufend. ↩︎
  6. https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/was-sagt-uns-remarque-heute-antwortversuche-in-osnabrueck-20231624 ↩︎
  7. Ebd. ↩︎
  8. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/zukunft-ungewiss-sorge-um-vw-werk-in-osnabrueck,hallonds-1774.html ↩︎
  9. Das Ortsschild ist mit Google Street View hier zu bewundern: https://maps.app.goo.gl/XQYsmMY3BzWi2vjz8 ↩︎

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...